Digitales


Auch in der weiten Welt des Internets tut sich viel auf dem Feld der populären Geschichtskultur. Wir stellen hier einige der jüngeren Produktionen vor (v. a. Podcasts sowie Beiträge bei Instagram und Telegram).  


Podcasts

Es braucht "das Gespräch zwischen den Generationen und zwischen Ost und West", sagte vor Kurzem der Historiker Marcus Böick in einem Podcastinterview. Und tatsächlich erscheint gerade dieses Format als geeignet, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Es ist daher kein Wunder, dass gerade die Themen DDR, 1989, Wende- und Nachwendezeit, Differenzen zwischen Ost und West im Medium Podcast aktuell einen Boom erlebt. Hier einige Empfehlungen:

Ein Podcast des Leipziger Internetradiosenders detektor.fm. Julia, Maria und Tom wurden am 9. November 1989 in Frankfurt Main, Ost-Berlin und Greifswald geboren. Sie teilen den historischen Tag als ihren Geburtstag. Mit jedem Jubiläum werden auch sie ein Jahr älter. Sehr persönlich erzählen die drei von ihren Erfahrungen in der Zeit und mit dem Leben, auch jenseits von Wiedervereinigung und Ost-West-Themen. Der Journalist Christian Bollert interviewte sie bereits kurz vor ihrem 18. Geburtstag und jüngst – 2019 – an ihrem 30. Geburtstag erneut. 

Ein Podcast, produziert von WDR und MDR, anlässlich des Jubiläums der deutschen Einheit 2020 ins Leben gerufen. Zwei junge Journalistinnen, beide nach 1990 geboren – die eine in Baden-Württemberg, die andere in Sachsen-Anhalt – sprechen über Vorurteile, persönliche Erfahrungen und das Nachwirken von DDR- und Wendeerfahrungen. Bewusst (und gelungen) präsentiert der Podcast eine verbindende Ost-West-Perspektive, die den vielen Gemeinsamkeiten der "Nachwendekinder" Raum gibt, ohne Unterschiede und strukturelle Ungleichheiten zu negieren. 


Zum Dorfkrug

Testo und grim104 sind zusammen das HipHop-Duo "Zugezogen Maskulin", das sich gelegentlich auch musikalisch mit DDR-Herkunft und ostdeutschen Erfahrungsräumen beschäftigt. In Ihrem Podcast "Zum Dorfkrug" sprechen sie mit wechselnden Gästen (meistens, aber nicht immer Millenial-Künstler*innen) über Herkunft, Aufwachsen, Provinzerfahrungen und Zugehörigkeiten. Dabei sind Ost-West-Hintergründe gar nicht das leitende Thema, ein Bewusstsein für Unterschiede wie auch Gemeinsamkeiten wird aber stets deutlich.


„Rice and Shine“ ist ein Podcast von Minh Thu Tran und Vanessa Vu. Er widmet sich aus einer vietnamesischen und viet-deutschen Perspektive ganz unterschiedlichen geschichtlichen, gesellschaftspolitischen und kulturellen Themen. Ein Anliegen des Podcasts’ ist es, neben den Gemeinsamkeiten auch die Vielfalt unter Vietdeutschen sichtbar zu machen. Dabei kommt immer mal wieder auch die spezielle Situation von vietnamesischen "Vertragsarbeiter:innen" in der DDR wie auch deren Nachkommen in Ostdeutschland und darüber hinaus zur Sprache. In der Folge vom Juli 2019 "Vossis - Viets im Osten" ist dies mit Gast Nhi Le auch Schwerpunkt.

Mit Charme und Humor sprechen die Nachwendekinder Melanie Manthey und Nico Schmolke darüber, wie es ist, aus einem Land zu kommen, das man gar nicht mehr kennengelernt, das sie aber trotzdem geprägt hat. Die insgesamt vier Ausgaben folgen jeweils einem Oberthema wie etwa dem frühkindlichen Erziehungssystem in der ostdeutschen Nachwendezeit, den "emanzipierten Ossibräuten" oder Nachwirkungen DDR-spezifischer Sammel- und Reparatur-Wut (bzw. -Notwendigkeit). Neben dem Gespräch mit Gästen erzählen die Hosts auch von ganz persönlichen Eindrücken und lassen Menschen aus ihren Familien zu Wort kommen.


Die aus Brandenburg stammende Journalistin Katharina Thoms spricht in diesem Podcast mit ihrer Mutter über deren Leben in der DDR. Ihre Mutter habe ein ganz normales Leben gelebt, dachte Thoms immer. Normal, Durchschnitt. Diese Sicht änderte sich, nachdem Thoms aus Brandenburg nach Baden-Württemberg gezogen war. Dort merkte sie: Die Mütter dort sind anders. Ihr Normal ist anders. Diese Differenzerfahrung war Anlass für den Podcast. Entstanden ist ein Gespräch, das durch die Fragen der Tochter und die Erzählungen der Mutter zu einem Generationendialog par excellence wurde. Dafür gab es den Grimme Online Award 2019.

Der Journalist und Podcaster Lucas Dörr aus Dresden spricht mit sehr unterschiedlichen Menschen über DDR- und Wendezeit. Die einzige Voraussetzung für die Gäste ist, dass sie keine Jungpioniere mehr waren, also nach 1990 in die Schule gekommen sind. Er fragt nach Erfahrungen, Prägungen und Deutungen, bespricht Mentalitäts- und Identitätsfragen, beleuchtet die Auswirkungen bis in die Gegenwart. 

Dörr spricht unter anderem mit dem Historiker Marcus Böick über die Treuhandanstalt, mit dem Abgeordneten im Thüringer Landtag Patrick Beier über Politik in Ostdeutschland und mit Linh Tran (selbst Podcasterin) über Herkunft, Humor und Alltagsrassismus.


Ein Podcastbeitrag der SZ-Korrespondentin Antonie Rietzschel, in dem sie mit drei Musikern – Dirk Michaelis von Karussell, dem Techno-DJ Paul van Dyk sowie dem Rapper Trettmann – über die DDR, den Osten, die Wende, über Erfahrungen, Hoffnungen und vergangene Zukünfte spricht. 

Ausgangspunkt dieses Beitrags von 2019 (erschienen bei "Zündfunk Generator") sind die Erfolge der AfD während der Landtagswahlen, Hetzkampagnen sowie der Mord an dem hessischen CDU-Politiker Walter Lübcke. Die Analysen stammen unter anderem von dem Soziologen David Begrich.


"Durch die Gegend" ist ein Format, bei dem der Journalist Christian Möller mit Musikerinnen, Autoren, Philosophinnen oder Politikern spazieren geht (häufig in der Heimatgegend). Dabei kommt er mit ihnen ins Gespräch über die Orte, die sie besuchen, über die eigenen Herkünfte, das Gewordensein und das Sein überhaupt. Spannend in unserem Kontext u. a. die Sendungen mit der Autorin Manja Präkels, dem Sänger Sebastian Krumbiegel von den Prinzen oder Monchi, dem Sänger der Band Feine Sahne Fischfilet.  



Instagram, Telegram & Intermediales (weitere Empfehlungen):

Wie hätten Teenies über '89' erzählt, wenn es damals Instagram gegeben hätte? Diese Frage ist Ausgangspunkt eines Experiments, mit den Mitteln von Social Media Geschichte zu vermitteln.

Das Projekt nimmt persönliche Fotografien als Schlüssel zur Erinnerung. Über das Medium richtet es sich vor allem an die Generation der um 1989 Geborenen. Wöchentlich übernimmt eine*r von ihnen den Instagram-Kanal und veröffentlicht Einblicke in private Bilder und Erinnerungen. Ein v. a. alltagsgeschichtlich spannendes Projekt, in dem Visualisierung und Erinnerung zusammengedacht werden.


Ein Ausschnitt vom Cover des Begleitheftes zu "Glasfäden", Causa Creations & neue unentd_ckte narrative
Ein Ausschnitt vom Cover des Begleitheftes zu "Glasfäden", Causa Creations & neue unentd_ckte narrative

Glasfäden ist ein interaktiver Comic, der vietnamesische und vietdeutsche Lebensrealitäten in der DDR und darüber hinaus schildert. Er entstand im Projekt neue unentd_ckte narrative und basiert auf Interviews mit zehn ehemaligen Vertragsarbeiter:innen und ihren Kindern aus der Region Chemnitz. Es geht um Aufwachsen in Vietnam, Ankommen in der DDR und um die dortigen Lebens- und Arbeitsbedingungen. Natürlich spielt auch der politische Umbruch von 89/90 und die damit verbundenen Probleme eine Rolle, nicht zuletzt die rassistische Gewalt diese Zeit und der Widerstand dagegen. Ein zweiter Teil lenkt die Aufmerksamkeit der Geschichte auf das Aufwachsen der Tochter im Nachwendedeutschland. Er erzählt von Unterschieden und Verständigungsschwierigkeiten mit der Mutter und den Eltern und greift Fragen der Zugehörigkeit zwischen (postmigrantisch-) deutscher und vietnamesischer Herkunftsgesellschaft auf.


„Deutschland ist eine Klassengesellschaft, die so tut, als wäre sie keine“ – das ist der Ausgangspunkt der seit 2020 laufenden Gesprächsreihe „Let’s talk about class“ am Berliner Kunsthaus ACUD. Ziel ist es, anhand unterschiedlicher Themen und Perspektiven auf die Ursachen und Folgen von klassenbezogener Ungleichheit zu schauen und zu diskutieren, wie sie sich überwinden oder zumindest reduzieren lässt. Dabei spielen auch ostdeutsche Perspektiven eine Rolle. So etwa in der Ausgabe „Ostdeutsche und Klassenerzählung“, in der Folge zu "Arbeit im ‚Arbeiter- und Bauernstaat‘" oder in der jüngsten Session „Klasse und rechte Gewalt im Osten“.

Bemerkenswert ist, dass die Gesprächsreihe konsequent intersektional aufgezogen ist. Das heißt, ihre Macher:innen denken den Zusammenhang unterschiedlicher Diskriminierungs-, Ausgrenzungs- oder Benachteiligungsformen mit, etwa die Herkunft aus dem Osten ebenso wie Geschlecht, Migrationsgeschichte oder Rassifizierung – mit jeweils unterschiedlichen Auswirkungen.
Darüber hinaus nimmt die Reihe Themen wie Bildungsaufstieg und Rechtfertigungsdruck auch aus einer ost-west-migrantischen Perspektiven unter die Lupe, ohne dass „Herkunftsfragen“ allein im Mittelpunkt stehen würden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

"Der Mauerfall und ich"

 

Das Story-Telling-Projekt kommt von der Bundeszentrale für politische Bildung. Eine Leipziger Studentin erzählt darin in Echtzeit ihre Geschichte vom Herbst 1989. Und man kann ihr folgen per WhatsApp, Telegram oder Notify.

 




Zum Weiterlesen

  • Christian Bunnenberg/Nils Steffen (Hg.): Geschichte auf YouTube. Neue Herausforderungen für Geschichtsvermittlung und historische Bildung, Berlin/Boston 2019.
  • Nico Nolden: Geschichte und Erinnerung in Computerspielen. Erinnerungskulturelle Wissenssystem, Berlin/Boston 2020.
  • Irmgard Zündorf/Lena Eggers u.a.: Die Präsenz der DDR im Internet. Zwischen Ostalgie und kritischer Aufarbeitung, in: Hans-Joachim Veen (Hg.): Das Bild der DDR in Literatur, Film & Internet. 25 Jahre Erinnerung und Deutung, Köln/Weimar/Wien 2015, 117–152.

"89 goes Pop" ist Teil des BMBF-Verbundprojekt "Das umstrittene Erbe von 1989"

Weitere Informationen unter www.erbe89.de