(Post-)Migrantische, BPoC & Jüdische Perspektiven


Studiengruppe Leichtathletik an der Leipziger DHfK (Deutsche Hochschule für Körperkultur) im September 1989 mit Dinis F. Antonio, Miguel Diocleciano, Joaquim Vilanaculos, Hector Vanegas und Pedro Goncalo. Foto: Bundesarchiv/Wolfgang Kluge (CC-BY-SA 3.0)
Studiengruppe Leichtathletik an der Leipziger DHfK (Deutsche Hochschule für Körperkultur) im September 1989 mit Dinis F. Antonio, Miguel Diocleciano, Joaquim Vilanaculos, Hector Vanegas und Pedro Goncalo. Foto: Bundesarchiv/Wolfgang Kluge (CC-BY-SA 3.0)

Erinnerungskultur darf sich nicht nur auf die Mehrheitsgesellschaft beziehen, so Peggy Piesche, eine aus der DDR stammende Schwarze Kulturwissenschaftlerin und Aktivistin. Mit dieser Aussage schließt Piesche an die jüngeren öffentlichen Debatten an, in denen es darum geht, wer sich im Zuge der deutschen Einheit eigentlich vereinigt hat und wer ausgeschlossen blieb. Nachdem diese Fragen im öffentlichen Diskurs lange keine Rolle spielten, findet in den letzten Jahren gerade auch in der Literatur eine Auseinandersetzung mit dieser erinnerungskulturellen Lücke statt.

Die Bücher geben dabei bspw. einen Einblick in das Leben von Vertragsarbeiter*innen in der DDR, die aus Vietnam, Mosambique oder Kuba kamen und die mit dem Untergang des Landes quasi über Nacht ihren Aufenthaltsstatus verloren. 

Andere Texte erzählen davon, wie man sich als Migrant*in und/oder Schwarze Person in der DDR (einer vergleichsweise homogenen Gesellschaft) zurechtfinden musste. Sie erzählen von Alltagsrassismus und Diskriminierung sowie von der Zunahme der Gewalt in den 1990er Jahren. 

 

Zugleich lassen sich die Texte dieser Kategorie nicht auf Erfahrungen mit Ausgrenzung und Gewalt reduzieren. Vielmehr begegnen uns ganz unterschiedliche Zugänge, Fragen und Verortungen in Vergangenheit und Gegenwart. So ist etwa die Suche nach oder der Umgang mit jüdischer Identität mal mehr, mal weniger stark mit den Erfahrungen in der DDR verknüpft. Auch Migrationsgeschichten können ganz unterschiedlich perspektiviert sein: So ist der Umzug von Istanbul in das mauerlose Berlin der Nachwendezeit in einem Buch eine Rückkehr in die Vergangenheit und an den Ort der Kindheit. In einem anderen erscheint der Umzug aus der ehemaligen Sowjetunion nach Berlin als das Versprechen eines Neuanfangs und einer besseren Zukunft. 


Birgit Weyhe: Madgermanes

Avant: Berlin, 2016

 

Rezension "Schuften für den Bruderstaat" im Fluter vom 16.8.2016

 

Passt auch in die Kategorie Wendebrüche.

Mirna Funk: Zwischen Du und Ich

DTV: München, 2021

 

Rezension "Die eigenen Wunden und die der Ahnen" in der Frankfurter Rundschau vom 23.2.2021

 

Passt auch in die Kategorie Weibliche Perspektiven.

Nellja Veremej: Berlin liegt im Osten

Jung und Jung: Salzburg/Wien, 2013

 

Der Verlagstext und Rezensionsnotizen bei Perlentaucher

 

Passt auch in die Kategorien Weibliche Perspektiven und 89/90 Global.

»Durch die Glasscheibe kann man ins Foyer blicken: die weißen Wände sind leer bis auf ein Wappen, mit leuchtendem Slogan: What the fuck is Heimat?«

 

Nellja Veremej: Berlin liegt im Osten, S. 266


Dimitrij Kapitelman: Eine Formalie in Kiew

Karl Hanser: München, 2021

 

Rezension "Zum Heulen witzig" im Neuen Deutschland vom 13.3.2021

 

Passt auch in die Kategorie Familiengeschichten.

»Vor einer Weile beschloss ich also, endlich die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Auf einer von sibirischen Katzen vollgepissten Treppe hockend. In die Märzsonne blinzelnd, existenzielles Mittelfeld, etwas verlassen vielleicht. An jenem Tag auf der Treppe eröffnete ich mir selbst, dass es nun so weit sei. Zeit, den offiziellen deutschen Stempel zu holen, den mir die Jahre längst aufgedrückt hatten. Wie kompliziert konnte das schon sein, bei meinem Werdegang? 1994 im Alter von acht Jahren immigriert, deutsch eingeschult, sozialisiert, studiert. Berufstätig, steuerpünktlich, verfassungspatriotisch.«

Dimitrij Kapitelman: Eine Formalie in Kiew, S.  8


May Ayim: grenzenlos und unverschämt. ein gedicht gegen die deutsche sch-einheit. (1990)

Erschienen in: blues in schwarz-weiß. Orlanda: Berlin, 1995

 

Den Text findet ihr unten. Das Gedicht vorgetragen von der Autorin findet ihr hier.


May Ayim: grenzenlos und unverschämt. ein gedicht gegen die deutsche sch-einheit.

ich werde trotzdem

afrikanisch

sein

auch wenn ihr

mich gerne

deutsch

haben wollt

und werde trotzdem

deutsch sein

auch wenn euch

meine schwärze

nicht paßt

ich werde

noch einen schritt weitergehen

bis an den äußersten rand

wo meine schwestern sind

wo meine brüder stehen

wo

unsere

FREIHEIT

beginnt

ich werde

noch einen schritt weitergehen und

noch einen schritt

weiter

und wiederkehren

wann

ich will

wenn

ich will

grenzenlos und unverschämt

bleiben

 

May Ayim



Lydia Lierke & Massimo Perinelli (Hg.): Erinnern stören.

Der Mauerfall aus migrantischer und jüdischer Perspektive

Verbrecher Verlag: Berlin, 2020

 

Der Verlagstext und Rezensionsnotizen bei Perlentaucher

 

Die Herausgeber*innen des Buches im Gespräch beim "taz Talk"

 

Alle Texte des Sammelbandes bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Karin Kalisa: Sungs Laden

C.H. Beck: München, 2015

 

Rezension "Wie sich das Gute in Berlin ausbreitet" im Spiegel vom 10.12.2015

 

Passt auch in die Kategorie Familiengeschichten.


O. Wenzel: 1000 Serpentinen Angst, M. Funk: Winternähe, J. Thomae: Brüder, P. Beatty: Slumberland


Yadé Kara: Selam Berlin

Diogenes: Zürich, 2003

 

Rezension im Deutschlandfunk vom 6.5.2003

 

Passt auch in die Kategorie Familiengeschichten.

»Im Vergleich zu Istanbul war Berlin ein Kaff. Aber es war ein überschaubares Kaff, mit einer Mauer  drum herum. Ich mochte es. Istanbul war total aufgedreht. Berlin auch, aber anders. Alles war übersichtlicher und ruhiger. Die Geschäfte schlossen um achtzehn Uhr, die Busse waren  pünktlich, und die Leute ignorierten sich gegenseitig und  ließen sich in Ruhe. Das war OK für mich. Vieles lief nach  Routine und Plan. Ich fühlte mich sicherer und gelassener als in Istanbul.«

Yade Kara: Selam Berlin, S. 11f.


Hussein Jinah (mit Sebastian Christ):

Als Weltbürger zu Hause in Sachsen

Mikrotext: Berlin, 2019

 

Der Verlagstext und Rezensionsnotizen bei Perlentaucher

 

Der Autor im Gespräch "Das Gefühl, immer Gast zu sein" im Spiegel vom 17.3.2019

May Ayim: Das Jahr 1990. Heimat und Einheit aus afro-deutscher Perspektive

Erschienen in: Grenzenlos und unverschämt. Orlanda: Berlin, 1997

 

Eine Vorstellung von Leben, Wirken und Werk May Ayims beim Digitalen Deutschen Frauenarchiv

 

Lauré Al-Samarai, Peggy Piesche (Hg.): Labor 89.

Intersektionale Bewegungsgeschichte*n aus West und Ost

Yilmaz-Günay: Berlin, 2020

 

Vorstellung und Einordnung beim Online-Portal Lernen aus der Geschichte

 

Passt auch in die Kategorien Queer im Osten und Weibliche Perspektiven.

Andre Herzberg: Alle Nähe fern

Ullstein: Berlin, 2015

 

Der Verlagstext und Rezensionsnotizen bei Perlentaucher

 

Passt auch in die Kategorien Familiengeschichten und Coming of Age.

»Die Welt da draußen tobt weiter, ich höre lieber in die Stille, die in meinem Zimmer ist. Die Therapeutin sagt, Sie lebten in einer Diktatur, ich bin empört. Als ich über mich als Juden spreche, von Gott rede, sagt sie, Sie müssen woanders hin.«

 

Andre Herzberg: Alle Nähe fern, S. 241


Audre Lorde: Ost Berlin im Dezember 1989 (1989)

Erschienen in: Hügel/Lange/Ayim u.a. (Hg.): Entfernte Verbindungen. Rassismus, Antisemitismus, Klassenunterdrückung. Orlanda: Berlin, 1993

 

Audre Lorde liest des Gedicht 1992 in Berlin (Englisch)

 

Mehr Informationen zu "Audre Lorde in Berlin" in der gleichnamigen Online-Ausstellung

 

 


"89 goes Pop" ist Teil des BMBF-Verbundprojekt "Das umstrittene Erbe von 1989"

Weitere Informationen unter www.erbe89.de