Die Nullerjahre – Identitätssuchen


Rückbau Palast der Republik 2008 © Sir James; CC BY-SA 3.0
Rückbau Palast der Republik 2008 © Sir James; CC BY-SA 3.0

Ab Mitte der 2000er-Jahren zeigt sich in der populären Musik zu '89' eine auffällige Häufung von Sinnstiftungs- und Identitätsangeboten entlang des Topos Ostdeutschland. In den Songs werden zunehmend ostdeutsche Erfahrungen mit der Wendezeit und im Transformationsprozess thematisiert: Verlust von Heimat, Arbeitslosigkeit, soziales und kulturelles Abgehängtsein. Auch Fragen von Repräsentation und Marginalisierung werden in den Songs verhandelt und teilweise als Bestandteil einer ostdeutschen Identität angeeignet. Zunehmend selbstbewusst wird die ostdeutsche Erzählung dabei ins Verhältnis gesetzt zu westdeutschen Erfolgserzählungen (etwa in "Wir sind wir" von Paul van Dyk und Peter Heppner, 2004).

 

In den Nullerjahren gewann zudem der Gangster- und Battle Rap ostdeutscher Couleur an Bedeutung. In den Songs von Joe Rilla, Ostmob oder Dissziplin findet sich jedoch nicht nur eine starke Bezogenheit auf 'den Osten' als Erfahrungs- und Handlungsraum. Vielmehr findet hier die Inszenierung eines neuen ostdeutschen Selbstbewusstseins statt, die mit dezidierter Abgrenzung gegen 'den Westen’ einhergeht. Vielfach ist diese – ganz im Sinne des Gangster-Rap – verbunden mit einer Ästhetisierung von Gewalt und bestimmten Formen von Männlichkeit. Der für Rap durchaus typische Lokalpatriotismus wurde zudem ergänzt um eine umfassendere, kollektivierende Identitätserzählung. Die Inszenierung als ostdeutsch ging in einigen der hier aufgeführten Songs zum Teil einher mit Prozessen einer (politisch) rechten Identitätsbildung (zum Verhältnis von Popmusik und Rechtspopulismus siehe u. a. die Arbeiten von Thorsten Hindrichs, Universität Mainz). 

Pyranja 1999 © Mika Väisänen; CC BY-SA 4.0
Pyranja 1999 © Mika Väisänen; CC BY-SA 4.0

[Single], Def Jam

 
Stichworte:

Erinnerung, Rückblick, Leben in der DDR, Unfreiheit, Unrecht, Perspektivlosigkeit, Flucht, überalterter und korrupter Machtapparat, Bedürfnis nach (Bewegungs-)Freiheit, Tristesse, Selbstbehauptungserzählung, ostdeutsche Herkunft, Rap

 

Westernization Completed, Orthlorng Musork

 

Stichworte:

DDR-Herkunft und Aufwachsen, Unfreiheit, Paternalismus, Konsumkritik, Ambivalenz, Bildungsmöglichkeiten und soziale Sicherheit in der DDR, Ankommen im Westen, Drogen(-kultur), Elektronische Musik, Klangkunst


Siehe: „Kokettes Kunstwollen. Antye Greie füllt als AGF die Leerstellen mit Bedeutung“, taz, 2003


Re-Reflections in the Mix, Urban

 

Stichworte:

deutsche Nachkriegsgeschichte, BRD-Geschichte als Erfolgszählung, DDR- und Wendegeschichte als Ambivalenz- und Verlusterzählung, Identität als Aufgabe, Kooperation von ost- und westdeutschen Musikern, Pop

 

Siehe auch: "Der Sound des Ostens", Podcast u.a. mit Paul van Dyk (2019)

 

Paul v. Dyk 2009 © possan; CC BY 2.0
Paul v. Dyk 2009 © possan; CC BY 2.0

Frauen & Technik, Pyranja Records

 

Stichworte:

Arbeitslosigkeit und Hartz IV, "neue Armut", Abwanderung und sozialer Absturz, Kritik an Eliten und Politik, Solidarität, Rap

Patriot, [?]

Stichworte:
Identität und Authentizität, Lokalpatriotismus (Cottbus), ostdeutsche Identität, Krisen- und Aufbruchsnarrativ, Repräsentation und Sichtbarkeit, (Battle-)Rap

Aus der Platte auf die Platte, Ostblokk Plattenbau

Stichworte:

Stereotype, "Mauer in den Köpfen", Ossi- und Wessiwitze, Kooperation zwischen ost- und westdeutschen Musikern (Sido veröffentlichte erst 2009, dass er 1980 in Ostberlin geboren wurde), (Battle-)Rap


Laut & Leise, Pyranja Records

 

Stichworte:

Identität und Authentizität, weibliches Selbstbewusstsein und Geschlechterrollen, Selbstbehauptung, Lokalpatriotismus (Mecklenburg-Vorpommern), Rap

 

Siehe auch: „Zurück im Block“, Der Spiegel, 2006.

Land Unter, Vertigo

 

Stichworte:

Herkunft und Herkunftslosigkeit, Familie und individuelle Identität, Erinnerung, Verlusterzählung, Ambivalenzerzählung, "Wendekinder", Melancholie, Indie-Pop

 

[?]

 

Stichworte:
ostdeutsche Identität, ostdeutsche Herkunft, Nationalismus, Patriotismus, Marginalisierungserfahrungen, Selbstvergewisserung, (Gangster-)Rap

 

Siehe auch: Deutschrap den Deutschen?, S. 17 (2015) und "Im schwarz-rotgoldenen Zwielicht", Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2009.


Auferstanden aus Ruinen, Aggro Berlin

Stichworte:
ostdeutsche Identität, Marginalisierungserfahrung, Ästhetisierung von Gewalt und spezifischer Männlichkeit, politische Aktualisierung von 1989, "Selbstermächtigungsnarrativ", Ost-Berlin, Plattenbauten, (Gangster-)Rap

 

Siehe auch: "Hier spricht die Platte", die tageszeitung, 2008.

Vandit Records

Stichworte: 

Jubiläum, deutsche Einheit, Identität, Einheitserzählung, deutsch-irische Kooperation, Pop (Hymne)

Aggro Berlin, Urban/Universal

Stichworte: autobiographisches ‚Bekenntnis an einen Unbekannten’ (Chorus „Hey Du“ aus dem Berlin-Film „Linie 1“ (1988), der im Mai 1989 in der DDR in die Kinos kam), DDR-Herkunft, Flucht nach West-Berlin, Ausgrenzungserfahrungen, Verschweigen der Herkunft, Emanzipations- und Aufstiegserzählung, Herkunft & Identität, Rap


Ute Freudenberg 2015 © Denis Apel / flyingpixel.de / Wikipedia; CC BY-SA 4.0.
Ute Freudenberg 2015 © Denis Apel / flyingpixel.de / Wikipedia; CC BY-SA 4.0.

Ungeteilt, Koch Universal

Stichworte:
Jubiläum, deutsche Teilung und deutsche Einheit, deutsch-deutsche Erfahrungen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten, Jugend, (innere) Freiheit, Berlin, Ost-West-Kooperation, Schlager

Christian Lais 2018 © rawpic; CC-BY-SA-4.0
Christian Lais 2018 © rawpic; CC-BY-SA-4.0


"89 goes Pop" ist Teil des BMBF-Verbundprojekt "Das umstrittene Erbe von 1989"

Weitere Informationen unter www.erbe89.de