Weibliche Perspektiven


Der gesellschaftliche Umbruch hatte natürlich auch eine geschlechterpolititsche Dimension. Foto: Maria Notbohm
Der gesellschaftliche Umbruch hatte natürlich auch eine geschlechterpolititsche Dimension. Foto: Maria Notbohm

Fiktionale Literatur war ein wichtiger Aushandlungsort für die Situation und Perspektiven von Frauen in der DDR. Ob und wie an diese Tradition des literarischen Feminismus” nach 1989 angeschlossen wurde, ist eine in der Forschung viel diskutierte Frage. In jedem Fall spielen auch nach 1989 und in der Auseinandersetzung mit der Verarbeitung von gesellschaftlichem Umbruch und Transformation Autorinnen eine wichtige Rolle. Zugleich sind sie (auch hier) unterrepräsentiert. Mit Blick auf 1989 und die Folgen dominier(t)en männliche Autoren und ihre Werke das Feld und die öffentlichen Debatten. 

 

Die Kategorie weibliche Perspektiven” will auf diese Schieflage verweisen und – ohne eine Ostfrauenliteratur” per se zu behaupten – die Relevanz und Vielfältigkeit weiblicher Perspektiven in den Blick rücken. Die Romane und Texte spiegeln die Erfahrungen von Frauen verschiedener Generationen in und mit der DDR. Sie erzählen von Frauen mit unterschiedlichen Hintergründen (z.B. als Jüdinnen) in der Umbruchszeit und ihren Folgen, die immer auch eine geschlechtsspezifische Dimension haben (auch wenn diese nicht im Mittelpunkt der Texte steht). Zudem stellen wir hier Werke aus transweiblicher Perspektive vor, um den Blick auch in diese Richtung zu weiten.


Daniela Krien: Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Graf: München, 2011

 

Der Verlagstext und Rezensionsnotizen bei Perlentaucher

 

Rezension "Keine romantische Liebe, sondern Liebesgewalt" im Deutschlandfunk Kultur vom 19.9.2011

 

Passt auch in die Kategorie Coming of Age.

»An das erste Mal erinnere ich mich ungern. Demütigend war mir das Einreihen in die Schlange für das Begrüßungsgeld gewesen, erniedrigend die Blicke eines Obst- und Gemüsehändlers, als ich ihn fragte, wie diese und jene Frucht hieße und wie man sie essen müsse. Vorher standen wir stundenlang am Grenzübergang und froren; es hatte ersten Schnee gegeben – frühen Schnee –, und wir waren nicht vorbereitet auf Hunderte von Autos, die alle die Grenze passieren wollten. Wir warteten viele Stunden in dem eiskalten Auto, nur um uns dieses Geld zu holen und endlich den Westen leibhaftig gesehen zu haben. Ich war enttäuscht. Die Erwartung, die mein ganzes Leben Zeit gehabt hatte, sich aufzubauen, hielt der Wirklichkeit eines schneeregenkalten Novembertages nicht stand. Das einzige Geschäft, das ich betrat, war dieser Obstladen, dessen Besitzer uns kalt musterte. Es war uns ins Gesicht geschrieben, woher wir kamen.«

 

Daniela Krien: Irgendwann werden wir uns alles erzählen, S. 33


Paula Irmschler: Superbusen

Claassen: Berlin, 2020

 

Rezension "Innenansichten aus Chemnitz" in der taz vom 28.2.2020

 

Interview mit der Autorin zum Erscheinen des Buches im Deutschlandfunk vom 11.4.2020

 

Passt auch in die Kategorie Provinz.

Regina Scheer: Machandel

Penguin Verlag: München, 2017

 

Rezension "Die verschlungenen Lebensgeschichten der DDR" im Deutschlandfunk vom 3.10.2014

 

Passt auch in die Kategorien Familiengeschichten und Provinz.

 

 

»Nun fuhr ich wieder nach Hause [nach Berlin, die Red.], aber die Stadt war mir fremd geworden oder vielleicht war ich ein Fremder geworden. Die Erde unter unseren Füßen war in Bewegung geraten, befremdet sah ich, wie aus dem Chaos etwas entstand, das nicht das war, wovon wir geträumt hatten. Erst da begriff ich, dass unsere Träume sehr verschieden gewesen waren. Plötzlich schien es nur ein Ziel zu geben: sich dem Westen anzuschließen.«

Regina Scheer: Machandel, S. 420



D. Krien: Muldental, J. Hodosi: Grenzgänge, A. R. Strubel: Unter Schnee, L. Al-Samarai & P. Piesche (Hg.): Labor 89, M. Funk: Zwischen Du und Ich, N. Veremej: Berlin liegt im Osten, M. Brasch: Ab jetzt ist Ruhe, P. Fürstenberg: Familie der geflügelten Tiger


Olivia Wenzel: 1000 Serpentinen Angst

Fischer: Frankfurt a.M., 2020

 

Rezension "Sie hat nicht den Luxus, einfach zu schweigen" im Spiegel vom 27.3.2020

 

Die Autorin im Gespräch zu ihrem Roman im Deutschlandfunk Kultur vom 1.7.2020

 

Passt auch in die Kategorien Queer im Osten, BPoc und Provinz.

»Während du verzückt durch New Yorks Straßen flanierst, drei Hot Dogs und drei Bananen unter jedem Arm, bemüht sich deine Mutter, sich nur noch an ihr Leben vor dem Mauerfall zu erinnern. Während du vollgefressen in Manhatten über das Wort ›Longing‹ im Wort ›Belonging‹ nachdenkst und über das Wort ›Gehör‹ im Wort ›Angehören‹, über das Verhältnis von Besitz (This country belongs to me) und nationaler Zugehörigkeit (I belong to this country), platzt dir vorzeitig die Fruchtblase. Während dein vierjähriger Sohn dich fragt, wie du Ausbildung persönlicher Identität mit Nationalgefühl, Hautfarbe und Besitzdenken zusammenhänge, nuckelst du verängstigt an deiner E-Zigarette und suchst den Himmel nach Drohnen ab.«

Olivia Wenzel: 1000 Serpentinen Angst, S. 28


Charlotte von Mahlsdorf: Ich bin meine eigene Frau

Edition diá: Berlin, 1992

 

Verlagstext und Rezensionsnotizen zum Hörbuch von 2002 bei Perlentaucher

 

Passt auch in die Kategorie Queer im Osten.

Daniela Krien: Die Liebe im Ernstfall

Diogenes: Zürich, 2019

 

Der Verlagstext und Rezensionsnotizen bei Perlentaucher

 

Passt auch in die Kategorie Wendebrüche.

 

Brigitte Burmeister: Unter dem Namen Norma

Klett-Cotta: Stuttgart, 1994

 

Eine literaturwissenschaftliche Einordnung im Aufsatz Trauer und Melancholie:Weibliche‘ Wenderomane zwischen 1993 und 1994" von Susanne Ledanff im GDR Bulletin 25/1

 

Passt auch in die Kategorie Wendebrüche.

»Schon weiß ich kaum noch, wie das Geld aussah, das wir hatten, bevor wir richtiges Geld bekamen, wie die Etiketten auf den Konservendosen, Gläsern und Flaschen aussahen, die Briefmarken und Fahrscheine, die Zahnpastatuben, Hautcremedosen, Haarbürsten, Nagelfeilen, Papierservietten, die tausend kleinen Dinge, die es in den Geschäften 1000 kleine Dinge gab oder wieder einmal nicht gab. Wie also die Dinge aussahen, die ich nicht vermisse, nur jetzt nicht mehr sehe, und wie es war, als ich sie häufig sah und häufig vermisste, weil es sie wieder einmal nicht gab, und wie es in bestimmten Momenten war, wenn fehlte, was ich brauchte oder mir wünschte oder zu kaufen mir vorgenommen hatte, wie das war, in ganz bestimmten Momenten, und wie auf die Dauer, also im Zusammenhang mit wiederum anderen Erlebnissen, an die ich mich erinnern müsste, einzeln und auf die Dauer und im Zusammenhang.« 

 

 Brigitte Burmeister: Unter dem Namen Norma, S. 165f.


Mirna Funk: Winternähe

Fischer: Frankfurt a.M., 2015

 

Rezension "Eine deutsch-jüdische Zustandsbeschreibung" im Deutschlandfunk Kultur vom 3.8.2015

 

Passt auch in die Kategorie jüdische Perspektiven.

Antje Rávik Strubel: Blaue Frau

Fischer: Frankfurt a.M., 2021

 

Der Verlagstext und Rezensionsnotizen bei Perlentaucher

 

Besprechung "Wenn 'Me-Too' und Ost-West aufeinandertreffen" auf Deutschlandfunk Kultur vom 10.9.2021

 

Passt auch in die Kategorien 89/90 global und Wendebrüche.

»Als ostdeutsche Autorin zu gelten war fad. Es schien immer nur eine zu geben, denn bis die nächste kam, war sie schon wieder vergessen. Niemand musste sich die Mühe machen, zwischen der Tochter eines Offiziers, der Tochter eines Staatskünstlers oder einem Lehrerkind wie mir zu unterscheiden. Wenn es im Feuilleton um unsere Bücher ging, hatten wir alle den gleichen grobmaschigen, undifferenzierten Hintergrund. Das Feuilleton war westdeutsch besetzt. Die überregionalen Zeitungen waren westdeutsch. Die gesamte Kultur wurde westdeutsch betrieben. Die einzige ostdeutsche Autorin mit einer Stimme im Nachwende-Deutschland wurde von der überregionalen Presse skandalisiert. Der Vorwurf der Stasitätigkeit brachte sie zum Schweigen.«

 

Antje Rávik Strubel: Blaue Frau, S. 327


Antje Rávik Strubel: Offene Blende

DTV: München, 2001

 

Der Verlagstext und Rezensionsnotizen bei Perlentaucher

 

 Passt auch in die Kategorie Queer im Osten.

Peggy Mädler: Wohin wir gehen

Galiani: Berlin, 2019

 

Rezension "Dramatische Begebenheiten" in der SZ vom 2.7.2019

 

 

 

 


"89 goes Pop" ist Teil des BMBF-Verbundprojekt "Das umstrittene Erbe von 1989"

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