Ohne Zweifel war das massenhafte Aufbegehren gegen den Staat 1989 wie auch seine rasche Abwicklung ab 1990 ein massiver Bruch für die meisten der, nun ehemaligen, DDR-Bürger*innen. Einen Bruch markierten insbesondere die schlagartigen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen, die mit dem Beitritt zur Bundesrepublik einhergingen. Gleichzeitig ist das individuelle Erleben dieser Brüche durchaus vielfältig. Ihre oft auch erst mittel- oder langfristige Verarbeitung spiegelt sich gerade in der Literatur in ihrer ganzen Bandbreite.
Ein zentrales Thema vor allem der früheren Texte ist die Auseinandersetzung mit dem plötzlichen Verschwinden der vertrauten Gesellschaftsordnung. Viele der Autor*innen standen ihr keineswegs unkritisch gegenüber. Ihr Verlust bedeutete jedoch gleichzeitig den Verlust einer Utopie und in fast allen Fällen das Verschwinden von Gewohntem, Vertrautem und Selbstverständlichem. Ein anderes wichtiges Thema ist die Erkundung von ökonomischen, sozialen und gesellschaftlichen Unsicherheiten und Existenzängsten in der Wende- und Nachwendezeit. Diese Suchbewegungen beziehen sich auf alle Lebensbereiche: Arbeiten, Wohnen, Lieben, die Erziehung von Kindern und nicht zuletzt auf die Sinn-Frage: Wo stehen wir? Wohin gehen wir?
Helga Königsdorf: Adieu DDR. Protokolle eines Abschieds
Rowohlt: Reinbeck bei Hamburg, 1990
Die Autorin im Gespräch mit Günter Gaus, Mai 1994
»Was bleiben wird, sind wir, die Menschen in diesem Territorium. Ohne den Ort zu verändern, gehen wir in die Fremde. Heimat aufgeben kann eine lebenswichtige Operation sein. Doch immer, wenn das Wetter umschlägt, werden wir einander ansehen, lange noch, und diesen Schmerz empfinden, diese Vertrautheit, die keiner sonst versteht.«
Helga Königsdorf: Adieu DDR, S. 9
Christoph Hein: Willenbrock
Suhrkamp: Frankfurt a.M., 2000
Der Verlagstext und Rezensionsnotizen bei Perlentaucher
Das Buch wurde 2005 (R: Andreas Dresen) unter selbem Titel verfilmt, siehe hier ein Trailer.
Christa Wolf: Ein Tag im Jahr. 1960-2000
btb: München, 2005
Der Verlagstext und Rezensionsnotizen bei Perlentaucher
»Während ich weiter in meinem Kalender blättere, begreife ich: Dieses Jahr [1990, die Red.] ist nicht ein, es ist das Wendejahr. Als sei ihm eine Achse eingezogen, um die herum die Zeit sich ›wendet‹. Nun liegt unten, was vorher ›oben‹, also sichtbar war, und das – uns – bisher Unsichtbare liegt obenauf.«
Christa Wolf: Ein Tag im Jahr, S. 458f.
Rolf Hochhuth: Wessis in Weimar. Szenen aus einem besetzten Land
Volk & Welt: Berlin, 1993
Der Text wurde in einer Inszenierung unter der Regie von Einar Schleef 1993 am Berliner Ensemble uraufgeführt.
Ein WDR-"Zeitzeichen" vom 10.2.2018 zu dieser Aufführung
Daniela Krien: Muldental
Ullstein: Berlin, 2014
Der Verlagstext und Rezensionsnotizen bei Perlentaucher
Passt auch in die Kategorie Weibliche Perspektiven.
»Sie leugnete nichts. Sechs Jahre lang hatte sie jeden Monat einen pünktlichen und anfangs belanglosen Bericht an die Staatssicherheit geschickt. Thomas wusste Bescheid, ihm hatte sie sich bereits Monate vorher anvertraut. ›Wenn es einmal herauskommt‹, hatte sie zu ihm gesagt, ›musst du wissen, dass ich es nur tat, um dich zu schützen.‹
Aber Hans wollte nichts hören. Nichts von der Angst um den Sohn, nichts von der Einschüchterung, nichts von ihrer Verzweiflung, als man ihr die Belanglosigkeit ihrer Berichte vorwarf und sie zwang, konkreter zu werden. Nichts von ihren quälenden Schuldgefühlen. Keine Entschuldigungen und keine Bitten um Vergebung.«
Daniela Krien: Muldental, S. 24
Christa Wolf: Was bleibt
Aufbau: Berlin, 1990
Eine Debattenübersicht "Der Streit um Christa Wolf und die Intellektuellen im vereinten Deutschland. Ein Rückblick aus dem Jahr 1996" auf literaturkritik.de
B. Burmeister: Unter dem Namen Norma, J. Bisky: Geboren am 13. August, B. Weyhe: Madgermanes, P. Hofmann: Die letzte Sau, E. Ruge: In Zeiten des abnehmenden Lichts, R. Ide: Geteilte Träume, S. Rennefanz: Eisenkinder, C. Meyer: Als wir träumten, B. Meinhardt: Brüder und Schwestern, J. Schalansky: Der Hals der Giraffe
Jens Sparschuh: Der Zimmerspringbrunnen
Kiepenheuer & Witsch: Köln, 1995
Rezension "Nun plätschert es wieder" in der FAZ vom 14.12.1995
"Die Subversion des Wortspiels" - eine Würdigung des Autors zum 50. Geburtstag auf literaturkritik.de
Das Buch wurde früh fürs Theater adaptiert, z.B. auf der Studiobühne des Maxim-Gorki-Theaters 1969 (R: Oliver Reese). Siehe auch der Trailer zur Verfilmung des Buches von 2001 (R: Peter Timm).
»Ohne auch nur den Fuß vor die Tür zu setzen, hatte ich mein altes Heimatland verlassen (bzw. – es mich). [...] Sogar die Postanschrift hatte sich von heute auf morgen geändert. Ich hatte eines Morgens mit Freitag [dem Hund, die Red.] die kleine Runde gemacht; irgendetwas war anders als sonst. Da bemerkte ich: heimlich, über Nacht sozusagen, waren wir aus unserer Straße umgezogen worden. Sie trug jetzt einen anderen Namen.«
Jens Sparschuh: Der Zimmerspringbrunnen, S. 38
Christoph Hein: Frau Paula Trousseau
Suhrkamp: Frankfurt a.M., 2007
Rezension "Ein autoritäres Elternhaus und die Folgen" im Deutschlandfunk Kultur vom 2.4.2007
Volker Braun: Trotzdestonichts oder Der Wendehals
Suhrkamp: Frankfurt a.M., 1995
Ein Portrait des Autors in der SZ vom 6.5.2019 anlässlich seines 80. Geburstages und dem Erscheinen der Essay-Sammlung "Handstreiche"
Felix Denk & Sven von Thülen: Der Klang der Familie.
Berlin, Techno und die Wende
Suhrkamp: Berlin, 2012
Rezension "Total geflasht in den Verfall" in der SZ vom 29.4.2012
Passt auch in die Kategorie West-Ost-West.
Ingo Schulze: Simple Storys
Berlin-Verlag: Berlin, 1998
Rezension "Glücksritter auf Tauchstation" im
Spiegel vom 28.2.1998
Das Buch wurde mehrfach für Theaterinszenierungen adaptiert, so etwa 1998 in der Neuen Szene des Schauspiels Leipzig (R: Anna Langhoff).
»Erika wurde von einem Italiener eingestellt, der sein Glück mit einer Pizzeria in der Fabrikstraße versuchte. Im April 91 musste er schließen. Erika fand andere Gaststätten. Doch kaum war eröffnet, kaum waren einige Monate vergangen, machten sie wieder dicht. Viermal passierte ihr das. Schließlich stand sie in dem Ruf, ein Unglücksengel zu sein. Aber auch nicht lange, denn man sah ja, wie es insgesamt lief.«
Ingo Schulze: Simple Storys, S. 29
Helga Königsdorf: Im Schatten des Regenbogens
Aufbau: Berlin, 1993
Diskussion und Lesung des Romans mit Helga Königsdorf, Martin Ahrends, Hajo Steinert und Hans-Jürgen Schmitt im Literarisches Colloquium Berlin im September 1993
Gregor Sander: Was gewesen wäre
Wallstein: Göttingen, 2014
Der Verlagstext und Rezensionsnotizen bei Perlentaucher
Gregor Sander schrieb auch das Drehbuch für den gleichnamigen Film von 2019 (R: Florian Koerner von Gustorf).
Lukas Rietzschel: Raumfahrer
DTV: München, 2021
Rezension "Aufgewachsen in Ruinen" auf Deutschlandfunk Kultur vom
18.8.2021
Besprechung und Gespräch über "Ostdeutsche, die nie im Heute angekommen sind" auf mdr Kultur vom 23.7.2021
Passt auch in die Kategorien Familiengeschichten und Perspektiven auf & auf Provinz
»Nachkriegszeit und Nachwendezeit. Trümmer beseitigen. Nicht nur die Brocken und Steine eingestürzter Häuser. Nicht nur die Fundamente suchen und ihnen nachweinen. Gebäude ließen sich abtragen und aufbauen. Erinnerungen nicht. Schmerzen nicht. Ob tatsächlich empfunden oder eingebildet. Schmerzen wie Steine, weitergereicht in einer Menschenkette von Hand zu Hand, um sie abzuklopfen und eventuell wiederzuverwenden. [...] vielleicht gab es Parallelen, die sich in dem Wort ›Danach‹ verbargen. Nachkriegszeit. Nachwendezeit. Und all die Raumfahrer darin gefangen, kein Vor und kein Zurück.«
Lukas Rietzschel: Raumfahrer, S. 270
Günter Grass: Ein weites Feld
Steidl: Göttingen, 1995
Rezension "Schwellkörper Deutschland" in der taz vom 26.8.1995
Rezension "...und es muss gesagt werden" im Spiegel vom 20.8.1995
Diskussion der zeitgenössischen Rezeption bei Zeitgeschichte-online von 2009
Passt auch in die Kategorie West-Ost/Ost-West.
»Millionen Arbeiter und Angestellte sind einem Enthauptungsprozess unterworfen, dem zufolge zwar nicht der einzelne um einen Kopf kürzer gemacht wird, doch kappt das Fallbeil seinen Erwerb, seinen bis gestern noch sicheren Arbeitsplatz, ohne den er, jedenfalls hierzulande, kopflos ist.«
Günter Grass: Ein weites Feld, S. 626
Friedrich Christian Delius: Die Birnen von Ribbeck
Rowohlt: Reinbek bei Hamburg, 1991
Eine Ortsbegehung mit dem Autor in Ribbeck 15 Jahre nach Entstehung der Erzählung im Tagesspiegel vom 12.10.2016
Das Werk wurde jüngst in einer szenischen Lesung am Theater im Palais Berlin (R: Annette Klare) auf die Bühne gebracht.
Passt auch in die Kategorie Provinz.
Valerie Schönian: Ostbewusstsein
Piper: München, 2020
"Mama, Papa, übrigens – ich bin jetzt wieder ostdeutsch!" - Die Autorin im Gespräch mit MDR Zeitreise
Der Verlagstext und Rezensionsnotizen bei Perlentaucher
Monika Maron: Zwei Brüder. Gedanken zur Einheit 1989 bis 2009
Fischer: Frankfurt a.M., 2010
Verlagstext und Rezensionsnotizen bei Perlentaucher
»Sie wisse nun nicht mehr, wo sie stehe, sagt Hella, wahrscheinlich zum ersten Mal in ihrem Leben. Geblieben sei ihr eine Abscheu vor jeglicher Ideologie, sagt sie, und das Wort Zukunft sei ihr inhaltslos geworden. Und dann, zweifelnd und hoffend: Aber irgendeinen Sozialismus müsste es doch geben, nicht diesen, diesen bestimmt nicht, aber einen. Was sollte ich darauf antworten?«
Monika Maron: Zwei Brüder, S. 32
Ingo Schulze: Neue Leben
Berlin Verlag: Berlin, 2005
Rezension "Cash hieß bar" auf literaturkritik.de
Stefan Heym: Auf Sand gebaut.
Sieben Geschichten aus der unmittelbaren Vergangenheit
Bertelsmann: München, 1990
Eine kurze Einführung in das Werk der Internationalen Stefan Heym Gesellschaft
Interview mit dem Autor in der Neuen Zeit vom 7.4.1990
»›Und all das wird sich ändern bei uns‹, sagt meine Elisabeth und hat dabei diesen Glanz im Auge: ihr Intershop-Blick, wie ich ihn nenne, der sich stets zeigt bei ihr, sobald sie den Shop betritt und die Auswahl an bunten Westwaren sieht, nur für harte Währung zu erwerben; aber jetzt braucht ja keiner den Shop mehr, jetzt geht man einfach nach drüben; nur mit der Währung ist es immer noch problematisch. ›Sehr ändern‹, sagt sie, ›und bei den Immobilien besonders, die werden ungeheuer steigen im Wert.‹ Ich staune: Immobilien. Woher sie das Wort überhaupt kennt!«
Stefan Heym: Auf Sand gebaut, S. 34
Katja Oskamp: Marzahn, mon amour. Geschichten einer Fußpflegerin
Hanser Berlin: Berlin, 2019
Rezension "Berlin außerhalb der Ringbahn" in der taz vom 27.9.2019
Der Verlagstext und Rezensionsnotizen bei Perlentaucher
Wolfgang Hilbig: Das Provisorium
Fischer: Frankfurt a.M., 2000
Rezension im Deutschlandfunk vom 10.2.2000
Der Verlagstext und Rezensionsnotizen bei Perlentaucher